Beitragvon Franz Engels » Mo 13. Sep 2004, 18:12
Hallo Maritta,
es tut mir leid, dass Sie so lange haben warten müssen. Aber ich finde, dass Sie sehr viel Unterstützung von anderen Forumsbesuchern erhalten haben, und darüber freue ich mich.
Sehen Sie, ich habe eben auch kein Erfolgsrezept, wie man mit der Gewalt, die eine psychotische Erkrankung in eine Beziehung hineinträgt, am besten umgehen soll. Darin unterscheide ich mich von Teddy, der ja offensichtlich über Lösungswege verfügt, ohne sie allerdings bisher für mich verständlich dargelegt zu haben. Ich kann Ihnen aber, wie alle die anderen Leser, versichern, dass ich Ihr Handeln, so wie Sie es beschrieben haben, absolut korrekt finde. Gleichzeitig weiß ich, dass Sie dies nicht von der eigenen gefühlten "Schuld" Ihrem Partner gegenüber entbinden kann, die aber wohl mehr eine Form der Hilflosigkeit ist, als eine wirkliche Schuld.
Wenn Grenzen (eigene Grenzen und die Grenzen zwischen Menschen) in gefährlicher Weise überschritten werden (z. B. bei Suizidandrohung oder Gewaltandrohung/gewalttätigem Verhalten) - und eine psychotische Erkrankung ist imstande dazu - dann ist es notwendig zum eigenen Schutz, zum Schutz des Anderen und auch zum Schutz der bestehenden Beziehung, die verschobenen Grenzene soweit wiederherzustellen, dass ein gemeinsames Überleben möglich ist. Welche Massnahmen dazu notwendig sind hängt entscheidend davon ab
- wie zugänglich der Betreffende in seiner Psychose noch ist
- wie bedrohlich die psychotische Gewalt ist
Die meisten Psychosen sind zwar sehr einschneidende Erlebnisse für die Betroffenen und deren Umgebung, sind aber ungefährlich, z. B. ein milder Beziehungswahn, Formen von Grössenwahn u. a. psychotische Zustände. Deshalb ist es unfair und unrichtig, "Psychose" gleichzusetzen mit "gefährlich"!
Es gibt aber auch "Psychosen", die mit Gefahren für das eigene Leben oder das der Anderen einhergehen. Viel häufiger ist das Leben der Betroffenen bedroht, es sterben immer noch sehr viele schizophrene Patienten im Laufe der Erkrankung durch Suizid! Das Gefährdungspotential muß in jedem einzelnen Fall neu eingeschätzt werden. Wichtig: man kann sich dabei irren!
Niemand irrt sich gerne, kaum jemand möchte gerne einem offensichtlich erkrankten Menschen zusätzliche Gewalt antun. Wenn dies geschieht, dann meist aus einer Situation der Bedrohtheit heraus, vielleicht wegen Unerfahrenheit oder sogar auch fehlendem Mut. Im schlimmsten Fall kommt es zu vorauseilender Gewalt. Dies sollte unter allen Umständen vermieden werden, gelegentlich ist aber auch das nicht möglich, weil "Notsituationen" eben auch zu fehlerhaftem Verhalten führen können!. All dies ist menschlich, man kann sich im häufigen Umgang mit solchen Situationen als Angehöriger oder im Rahmen einer Professionalisierung erproben und kompetenter werden.
Keinesfalls darf aber meines Erachtens am Ende derjenige, der versucht, einen Schaden einzugrenzen und letztlich hilfreich für den Betroffenen zu sein, selber auf der Anklagebank sitzen. Das wäre eine absurde Verleugnung der Erkrankungssituation!
Mich stört an Teddy's Ausführungen heute wie damals diese Vernachlässigung der Tatsache, dass der Helfer, wie dilettantisch und ungeschickt er auch vorgehen mag, letztlich nichts für die Erkrankung des Betroffenen und deren zerstörerische Kraft in den zwischenmenschlichen Beziehungen kann. Wie soll sich bitte ein Angehöriger verhalten, wenn ein psychosekranker Ehemann in Verkennung der Realität mit Suizid droht oder sich potentiell gefährliche Verletzungen zufügt? Es gibt hier keinen "guten Weg", wenn nicht eine Einsichtsfähigkeit oder zumindst eine Beruhigung der Situation erreicht werden kann (Und Teddy am "anderen Ende der Leitung" ist sicher nicht berufen, per Ferneinschätzung eine pauschale moralische Bewertung vorzunehmen). "Schuld" daran trägt nicht primär der Helfer, auch nicht der Kranke, sondern der Umstand der Erkrankung, der ein Handeln erzwingt. Nur ist es natürlich unsinnig, einer Erkrankung "Schuld" zuzuweisen. Wir müssen uns also vermtlich daran gewöhnen anzuerkennen, dass es im Reich der Krankheiten "unverschuldete" und trotzdem unleidliche Zustände gibt! Und das das Helfenwollen zunächst ein Wunsch ist und dass wir in diesem Bedürfnis scheitern können,, ohne deshalb "schuldig" zu sein oder zu werden!
Die Unbarmherzigkeit, mit der Teddy in seinen Beiträgen unterschiedslos professionellen Helfern Inkompetenz und sogar verbrecherische Absichten unterstellt, ist nach meinem Empfinden absurd. Zumindest finde ich mich selber in diesen Beschreibungen nicht wieder. Sicher war ich schon oft hilflos, wenn ich mir mehr Souveränität gewünscht hätte und sicher habe ich auch rückblickend häufig Fehler gemacht, die ich hoffentlich nicht wiederholen werde. Aber es ist doch der Wunsch da, kompetent und erfolgreich zu helfen, und dies unterstelle ich auch zunächst allen Angehörigen und allen anderen professionellen Helfern.
Ich hoffe, mein Anliegen und meine "Antwort" auf Ihre Frage ist angekommen! Ich habe grossen Respekt vor Ihrer Entscheidung, Ihren Partner einzuweisen und ihn dadurch vor sich selber und sich vor ihm und Ihre Beziehung schützen zu wollen. Sie war das, was Ihnen in der Verzweiflung der anhaltenden Notsituation möglich war und es war sicher ein Akt der Nächstenliebe. Insofern war es eine gute Entscheidung, und ich bin sicher, es muss Ihrem Mann zu einem späteren Zeitpukt möglich sein, diese Entscheidung zu verstehen.
Übrigens gilt derselbe Respekt Kratz (alias Detlev), der seinen Bruder hat einweisen müssen, und ich freue mich sehr über die menschenfreundliche Sicht all der Anderen, die sich in diesem Thread zu Wort gemeldet haben.
Freundliche Grüsse
Franz Engels (Webmaster)
Das Gegenteil ist nur die Rückseite derselben Medaille.